Drum prüfe, wer sich ewig bindet

Greta 1997 – 1998

Roman Wintersonnenwende - Drum prüfe, wer sich ewig bindet

Wie schon erwähnt habe ich auch einen Ex- Mann. Meine gescheiterte Beziehung mit Sebastian ist also nicht die erste. Bereits ein Makel. Ein Zeichen meiner Unfähigkeit, Beziehungen einzugehen und zu halten.

Am 4.7.1997, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, heiratete ich meinen Kommilitonen Phillip. Das Fest selbst war wunderschön, obwohl ich bereits damals spürte, dass etwas nicht stimmte. Besonders während der kirchlichen Trauung. Ich weinte und hatte gar keine Chance, die Tränen zurückzuhalten. 

Ich trug ein schlichtes, champagnerfarbenes Kleid, das mir eigentlich gut gefiel. Aber eben nur eigentlich, denn man hatte dieses schlichte Kleid mit allerlei Accessoires ausstaffiert, die weder zu diesem Kleid noch zu mir passten. Ich hatte es mit mir geschehen lassen. Hatte mich nicht gegen die Vorstellungen der anderen aufgelehnt. 

Eigentlich hatte ich mein Brautkleid in einem kleinen, hübschen Geschäft in der Stadt kaufen wollen. Hätte ich eine Freundin gehabt, so hätte ich es gerne mit ihr zusammen gemacht. In meiner Vorstellung wurde uns dazu ein Glas Sekt gereicht und in aller Ruhe suchten wir so lange aus, bis ich schließlich MEIN Kleid gefunden hatte. Aber natürlich hatte ich keine Freundin. Und genauso natürlich hatte ich meine Mutter, die selbstverständlich dabei sein wollte. Die Vorstellung, mit meiner Mutter ein Kleid auszusuchen, hatte etwas Beängstigendes für mich. Aber noch viel beängstigender war die Vorstellung, meiner Mutter zu sagen, dass ich sie nicht dabei haben wollte. Um die Spannung zwischen ihr und mir zu reduzieren, nahmen wir auch meinen Vater und Phillip mit. Eigentlich heisst es ja, der Bräutigam solle das Kleid vor der Trauung nicht sehen – wir hielten es nicht so streng. Und es wird wohl auch nicht der Grund für das Scheitern unserer Ehe gewesen sein.

Mein Vater kannte als ehemaliger Landwirtschaftslehrer ein großes Geschäft für Brautmoden auf dem Lande. „Brautmode für Bauerntrampel“, dachte ich damals, als ich die vielen großen Ständer mit üppigen Kleidern für üppige Frauen mit üppigen Busen sah. Aber immerhin, ich fand ein schmal geschnittenes, Kleid und damit hätte alles gut werden können. Doch die Verkäuferin und meine Familie fanden, dass ich damit nicht genug nach einer Braut aussah. Statt eleganter Handschuhe (warum nur hatte ich dies nicht vorgeschlagen?), wurde mir ein Spitzenjäckchen übergestreift. Schließlich mussten ja in der Kirche die Schultern verhüllt werden. Dazu wurde mir noch ein Schleier auf den Kopf gesetzt. Am Hochzeitstag selbst kam dann noch ein verspielter Brautstrauß dazu. Kein Strauß, den ich mir erträumt hatte. Ein Strauß, der keine von meinen Lieblingsblumen enthielt. Aber ich wollte Phillip nicht kränken. So, wie ich niemanden kränken wollte. Und so ließ ich mich ausstaffieren. 

Dafür fühlte ich mich am meinem großen Tag, der der schönste meines Lebens sein sollte, nicht wie ich selbst. Eine kitschige Barbie- Puppe trat vor den Altar, um von einer Abhängigkeit in die nächste zu treten. Phillip würde das fortsetzen, was meine Eltern bislang getan hatten. Hatte ich das damals schon gewusst? War diese Erkenntnis der Grund für meine Tränen in der Kirche? 

Auch Phillips Hochzeitsanzug suchten wir alle vier gemeinsam aus. Als Phillip im Anzug vor dem Spiegel stand, war mein Vater begeistert. „Ganz der Herr Professor“. Phillip musste ihn erinnern: „Nicht ich befinde mich in der Laufbahn zur Habilitation, sondern Deine Tochter.“ Danke Philipp. Ich kann mich nicht erinnern, dass mein Vater Stolz auf mich zeigte. Oder ich war dafür nicht empfänglich. 

Die Ringe, die wir tauschten, gefielen mir damals nicht. Es waren Erbstücke. Alte gebrauchte Eheringe, die in meiner Familien zu diesem Zweck schon einmal genutzt worden waren. Keine neuen, gemeinsam ausgesuchten Ringe. Damals habe ich sie gehasst. Heute, wo ich die Geschichte meiner Familie kenne, denke ich anders über die Ringe. Heute würde ich meinen Ring vielleicht mit Stolz und Würde tragen, aber heute gibt es diese Ehe nicht mehr. 

Mein Ring war vormals der Ehering meiner Urgroßmutter Charlotte. Den dazugehörigen ihres Mannes Ernst gab es nicht mehr. Er war während der Flucht im Krieg verloren gegangen. So kam es, dass Phillip den Ring meines damals schon verstorbenen Großvaters Alexander bekam. Von dem Mann, der das Leben so liebte und der in seiner Ehe so unglücklich gewesen war. Natürlich gab meine Großmutter Henriette den Ring ihres verstorbenen Gatten nicht gerne her. Aber meine Mutter hatte sie wohl lange genug bekniet.  

Keinen Erfolg hatte sie bezüglich Henriettes Ring. Meine Großmutter wollte diesen bis zu ihrem eigenen Tod in Gedanken an ihren wundervollen Mann und ihre wunderbare Ehe selber tragen. Auch wenn jene Ehe eben nicht wunderbar war, beneidete ich sie, dass sie ihre Erinnerungen so verklären konnte. 

So kam es, dass Philipp und ich abgelegte Ringe aus verschiedenen Ehen bekamen. Aber auch dies wird nicht der Grund für das Scheitern unserer eigenen Beziehung gewesen sein. Wäre es ein Ringpaar aus einer alten glücklichen Ehe gewesen, hätte ich es damals vielleicht leichter gehabt. Ein  Ringpaar mit viel Tradition und schönen Geschichten aus einer glücklichen Ehe.

Die Ringe sahen sich noch nicht einmal ähnlich. Es war auf Anhieb zu sehen, dass sie nicht zusammen gehörten. Okay, sie waren beide aus Gold, aber das war auch schon alles an Gemeinsamkeiten. Phillips Ring war breit und kantig, meiner schmal und abgerundet. 

So erlebte ich den Akt der Trauung als Darstellerin in einem Film. Das war nicht ich, die das Ja- Wort sprach. Nein, deutlicher: Es war eine Greta, die niemals eine Kontrolle über sich selbst erzielt hatte. 

Die Ehe hielt kein ganzes Jahr. Noch vor unserem ersten Hochzeitstag waren wir getrennt. 

Während dieses knappen Jahres wurde meine Depression immer schlimmer. Es eskalierte durch Arbeitsüberlastung und Kälte in unserer Beziehung. Mein Beruf als Ärztin und gleichzeitige Forschung an der Uni überforderten mich zusehends. Niemals werde ich das Gespräch mit meinem Professor vergessen, in dem ich ihn bat, mich von der Forschungsarbeit freizustellen. Aber auch dieser Versuch der Notbremse, alles mit Arbeitsüberlastung zu erklären und eine Besserung nach einer Arbeitsreduktion zu erwarten, fruchtete nicht. Zwei Wochen später war ich komplett arbeitsunfähig. Eine junge Frau, frisch verheiratet und gerade in eine Traumwohnung gezogen, lag nur noch vor Angst apathisch und gelähmt im Bett und verließ es Tag und Nacht nicht mehr. Und Phillip? Der frisch gebackene Ehemann versuchte so zu tun, als sei alles in Ordnung und ergriff die Flucht, wo es nur ging. An dem ersten schlimmen Wochenende nach meiner Krank- Schreibung fuhr er mit gemeinsamen Freunden zum Wandern in die Schweiz. Ich quälte mich allein zuhause im Bett. Auch das werde ich nie vergessen und ich konnte es Phillip nie verzeihen. Es war der eigentliche Akt unserer Trennung, die kurz danach vollzogen wurde.

Nahtlos ging ich die Beziehung mit Sebastian ein. Wir kannten uns aus dem Krankenhaus, er war da, ich wollte nicht allein sein und so wurden wir ein Paar. Philipp zog aus, Sebastian zog ein. Ein chancenloser Akt.

Nahtlos ging ich die Beziehung mit Sebastian eingegangen. Wir kannten uns aus dem Krankenhaus, er war da, ich wollte nicht allein sein und so wurden wir ein Paar. Philipp zog aus, Sebastian zog ein. Ein chancenloser Akt.

Weihnachten 2012 würde meine Mutter, nachdem meine Eltern Lebenspartner Nummer Drei kennenlernten, sagen: „Wir sammeln Schwiegersöhne“. Natürlich kränkte mich dieser Satz. Aber heute kann ich es anders betrachten. Sie hatten eben auch ihre Schwierigkeiten, mein unperfektes Leben in der perfekten Umgebung einer Kleinstadt vor sich und den perfekten Bekannten zu verteidigen. 

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